Seit 14 Jahren in Zürich
Eine Wienerin in Zürich
Wenn ich an Oktober 2011 zurückdenke, taucht ein Kleintransporter in meiner Erinnerung auf. Er ist vollgestopft mit Bücherkisten, einem Sofa und einem Kleiderschrank, dazwischen meine geliebte Bananenstaude und eine Ration Mannerschnitten, die für die kommenden Monate ausreichen muss.
Ich bin an einem Freitag angekommen – und pflichtbewusst gleich am Montag zum Bevölkerungsamt gegangen, um mich anzumelden. Eine Nummer beim Eingang gezogen, alles ist gut organisiert hier; und während ich warte, breitet sich ein mulmiges Gefühl in meinem Magen aus.
Obwohl nicht wirklich etwas schiefgehen kann – so dachte ich als EU-Bürgerin zumindest –, bin ich nicht sicher, ob alles klappen wird. Habe ich alle notwendigen Unterlagen dabei? Werden sie mir eine Aufenthaltsbewilligung ausstellen? Wenn schon mir als Österreicherin so zumute ist, wie geht es dann erst Menschen aus sogenannten Drittstaaten oder gar Asylsuchenden?
Meine Nummer leuchtet bald auf, kein endloses Warten also, und ich betrete den Schalterraum: Freundliche Gesichter, Menschen, die den Anschein erwecken, gerne hier zu arbeiten, die nicht mit Gestik und Mimik zu verstehen geben, wie sehr man sie nervt. Als gelernte Wienerin etwas Neues für mich. Das habe ich seither immer wieder erlebt: Ich werde auf Ämtern nicht wie eine Bittstellerin oder Untergebene behandelt. Dafür zahle ich allerdings für beinahe jede Handlung – in Franken.
Zur Höflichkeit der Zürcher gehört auch, dass sie auf Hochdeutsch umschwenken, wenn ich nicht Schweizerdeutsch spreche. Erstaunlicherweise kann ich trotzdem schon nach ein paar Wochen stolz einwerfen: »Du brauchst nicht ins Hochdeutsche wechseln«. Was nicht heißt, dass es nicht zu skurrilen Situationen gekommen ist. So habe ich gleich nach der Ankunft einen Bewegungskurs gebucht. Die Anleitung »durch's Muul schnuufen« kommt mir seltsam vor. Wer würde schon bei einem Menschen vom Maul sprechen, wenn der Mund gemeint ist? Auch stoßen Ausdrücke, die mir selbstverständlich sind, wie »Das geht sich nicht aus«, auf ratlose Gesichter. In Zürich langt es zeitlich nicht.
Mein Deutsch mit wienerischem Einschlag wird, bis auf solche Eigenheiten, verstanden – was zur Folge hat, dass ich bis heute nur ansatzweise Schweizerdeutsch sprechen kann. Meine Versuche, Züridütsch zu reden, scheitern, sobald ich nicht weiß, wie und mit welchem gutturalen Klang ich etwas ausdrücken muss. Und das passiert meist schon im ersten Satz. Sofort flüchte ich in meine gewohnten Sprachgefilde. Und die Zürcher finden das noch dazu herzig: »So ein schöner Dialekt! Gib den nicht auf«. Das ist Balsam für meine Inkonsequenz.
Sprachliche Unterschiede sind mir gleich am Anfang beim Grüßen aufgefallen. In Zürich grüßt man sich, indem der Name der angesprochenen Person angehängt wird. So prostet man sich auch zu. Was ich von zu Hause nur als manipulativen Verkäufer-Trick kenne, wirkt hier echt: Ich sehe dich, ich kenne dich beim Namen. Unangenehm ist mir allerdings, beim dritten Zusammentreffen den Namen immer noch nicht parat zu haben. In Wien kein Problem, in Zürich fällt es auf. Die Zürcherin fragt in so einem Fall ganz einfach nach. Niemand kann sich alle Namen merken, wie ich bald mit Erleichterung feststelle.
Apropos Gruß: Das in Wien bereits eingebürgerte Hallo war in Zürich 2011 noch kaum zu hören. Jetzt begegnet es mir manchmal, dann entschlüpft es mir auch gleich selbst. Gebräuchlicher ist auf jeden Fall Hoi oder – seltener – Sali bei der Du-Ansprache und Grüezi, wenn man per Sie ist.
Wenn ich in meine Heimatstadt komme, verwende ich wieder freudig Servus. Geantwortet wird mir selten damit. Es gibt ja dieses Phänomen, an veralteten Traditionen des Herkunftslandes festzuhalten. Ist es bei mir nun also auch so weit?