Brigitte Halbmayr: Brüchiges Schweigen (Rezension)

Anna Burger wurde in der NS-Zeit als sogenannte "Asoziale" in ein KZ gebracht und kam nicht zurück. Ihr Leben und ihr Tod werden, von der Autorin und der Enkelin Siegrid Fahrecker, aus dem Schweigen geholt.

In „Brüchiges Schweigen. Tod in Ravensbrück – auf den Spuren von Anna Burger“, das 2023 im Mandelbaum Verlag erschienen ist, beschreibt die Sozialwissenschaftlerin Brigitte Halbmayr die Lebensgeschichte und den frühen Tod von Anna Burger: eine Frau aus Klosterneuburg in Niederösterreich, die in der NS-Zeit als sogenannte „Asoziale“ bezeichnet und ins KZ Ravensbrück gebracht wurde. Von dort kam sie nicht wieder zurück.

Als "asozial" diffamiert und verfolgt

Das Buch ist in Zusammenarbeit mit der Enkelin von Anna Burger, Siegrid Fahrecker, entstanden. Ihr war es ein Anliegen, das Leben und den Tod ihrer Großmutter aus dem Schweigen und der Beschuldigung zu befreien, die sowohl in Österreich als auch in der Familie lange und zum Teil bis heute andauerten.

Die sogenannten "Asozialen" wurden auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht als Opfer der NS-Herrschaft anerkannt. Ihnen wurde in Österreich erst 2005 der Opferstatus zuerkannt, und damit auch ein Recht auf Entschädigung (in Deutschland erfolgte das gar erst 2020). Diesen Menschen wurde unterstellt, selbst schuld zu sein, in einem KZ gelandet zu sein.

Warum mir dieses Buch ein Anliegen ist

Warum rezensiere ich dieses Buch hier auf diesem Blog? Bei den Recherchen für meinen ersten Roman, den ich gerade verfasse, habe ich mich ausgiebig mit der Thematik der sogenannten "Asozialen" beschäftigt. Dabei bin ich auf die Forschungsarbeit von Brigitte Halbmayr gestoßen. Sie hat mir in einem persönlichen Gespräch per Zoom Fragen beantwortet und wertvolle Hinweise gegeben. Dafür bin ich ihr sehr dankbar. Damals hat sie mir auch von ihrem eigenen Buchprojekt, dem nun hier vorliegenden Buch, erzählt.

Die Autorin Brigitte Halbmayr

Brigitte Halbmayr ist Sozialwissenschaftlerin. Zu den Schwerpunkten ihrer Forschung zählen Frauen und NS-Verfolgung, Erinnerungspolitik und Biografieforschung. Sie arbeitet am Institut für Konfliktforschung in Wien.

Recherche zum Leben Anna Burgers in Klosterneuburg

Die Autorin und die Enkelin Siegrid Fahrecker haben ausführlich recherchiert, was es zu Anna Burger zu finden gibt. Einige Dokumente fanden sie im Stadtarchiv Klosterneuburg.

Ich habe selbst elf Jahre lang in Klosterneuburg gelebt. Wenn ich die Orte lese, wo Anna Burger aufwuchs, die oftmaligen Wohnungswechsel, die katastrophalen Verhältnisse – dann kann ich es kaum mit dem Klosterneuburg, das ich kenne, in Verbindung bringen. Die Armut ist heute nicht mehr so allgegenwärtig, sie ist versteckter – und in andere Länder ausgelagert.

Nicht alles konnte aufgrund der noch vorhandenen Dokumente geklärt werden. Feststeht, dass Anna Burger 1940 in die Fänge der Kriminalpolizei kam. Dieser stand das Instrument der „Vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ zur Verfügung. Männer und Frauen konnten einfach weggesperrt werden, mit der Begründung, sie seien eine Gefahr für „die Volksgemeinschaft“.

Das betraf viele Menschen, die als „asozial“ bezeichnet wurden, und das waren vorwiegend Menschen mit wenig oder keinem Geld, Menschen, die von der Fürsorge leben mussten, die obdachlos waren oder denen „Arbeitsscheu“ vorgeworfen wurde. Bei Frauen wurde insbesondere auch mit „liederlicher Lebenswandel“ argumentiert.

Zuchthaus und Konzentrationslager

Anna Burger kam in Haft (unter besonders schweren Bedingungen in einem„Zuchthaus“) und danach ins Frauenkonzentrationslager Ravensbrück, obwohl sie ihre Haftstrafe abgebüßt hatte.

Im KZ musste Anna Burger Zwangsarbeit leisten, in der berüchtigen Nähstube, wo unter massivem Zeitdruck und mit langen Arbeitsstunden pro Tag gearbeitet werden musste und Misshandlungen auf der Tagesordnung standen.

Laut Berichten einer Zeitzeugin ist davon auszugehen, dass Anna Burger auch sexuelle Gewalt seitens der SS erleben musste. Ihr Tod bleibt ungeklärt, stark anzunehmen ist allerdings, dass die natürliche Todesursache auf dem Totenschein falsch ist.

Das Schweigen in der Familie

Eindrücklich ist für mich, wie im Buch das Schweigen in der Familie geschildert wird. Für die Enkelin bleibt die Großmutter lange eine Leerstelle. Bis sie beginnt, nach ihr zu fragen und immer wieder nachhakt.

Traumata werden vererbt

Die Autorin geht in einem Kapitel darauf ein, dass Traumata innerhalb einer Familie vererbt werden. Die Mutter von Siegrid Fahrecker, Tochter von Anna Burger, wuchs ebenfalls unter schwierigen Bedingungen in einer Pflegefamilie auf. Nicht nur dort erfuhr sie Erniedrigung und Gewalt, sondern auch in der Schule.

Umso mehr bewundere ich die Enkelin Siegrid Fahrecker: ihre Hartnäckigkeit, ihre Ausdauer, die Lebens- und Todesumstände ihrer Großmutter ans Licht zu holen. Oft sind es Frauen in der Familie, die das tun.

Siegrid Fahrecker ist auch bereits seit vielen Jahren in der Österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück aktiv.

Und ich bewundere die Forscher:innen, die sich dem Thema Frauen in Konzentrationslagern, vor allem den besonders marginalisierten Gruppen, widmen, die in der Gesellschaft weiterhin abgewertet wurden.

„Erinnern ist Arbeit an der Zukunft“

„Erinnern ist Arbeit an der Zukunft“, wird die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann am Ende des Buches zitiert.

Jede Person, die sich erinnert, tut das für sich, für die eigene Familie – und darüber hinaus. Jede, die den Mut hat, zu fragen, nachzuhaken, zu recherchieren, zu forschen, sich Konflikten und eigenen Wachstumsschmerzen auszusetzen, trägt zu dieser wichtigen Arbeit bei.

Nicht „Schwamm drüber. Lassen wir die Vergangenheit ruhen“ heilt und bringt positive Veränderung, sondern achtsames Erinnern.


Brigitte Halbmayr: Brüchiges Schweigen. Tod in Ravensbrück - auf den Spuren von Anna Burger

Brigitte Halbmayr: Brüchiges Schweigen. Tod in Ravensbrück – auf den Spuren von Anna Burger. Wien: Mandelbaum Verlag 2023

Webseite zum Buch „Brüchiges Schweigen“

Siehe auch:

"Asoziale" als verleugnete NS-Opfer. ORF-Topos vom 15. April 2023