Auf kolonialen Spuren
Eine Wienerin in Zürich
An einem Sonntag Ende August stehe ich mit geschätzt dreißig Frauen und ein paar wenigen Männern beim Mühlesteg an der Limmat in der Innenstadt von Zürich. Es ist die zweite Station des Frauenstadtrundgangs zum Thema »Frauen und Kolonialismus. Eine Spurensuche in Zürich«. Zürich und Kolonialismus? Aber die Schweiz hat doch damit nichts zu tun! Diese Meinung ist weit verbreitet.
Die Spätsommersonne brennt auf uns herab. Zum Glück habe ich einen Sonnenhut auf. Die zwei Guides berichten von Völkerschauen, die ab 1835 in Zürich – und später auch an verschiedenen Orten der Schweiz – stattfanden. Menschen aus nicht-europäischen Gebieten wurden wie in einem Zoo als exotische Wesen ausgestellt. Viele überlebten nicht: aufgrund von Infektionen oder der schlechten Unterbringung und Verpflegung.
Auf dem Weg zur nächsten Station wandern meine Gedanken nach Österreich. Ich habe mich schon oft gewundert, warum die ehemalige österreichische Monarchie keine Kolonien hatte. War Kaiser Franz Joseph ein Freund aller Menschen – und damit seiner Zeit voraus? Oder hat gar Gattin Sisi, wie wir sie aus den Filmen der 50er-Jahre kennen, mit Liebreiz und Herzlichkeit ihren Franzl davon abgehalten, die einheimische Bevölkerung anderer Kontinente zu unterjochen und auszurauben?
Die Realität war nüchtern. Wie die Historikerin Vanessa Spanbauer sagt, war Österreich »wie immer ein bisschen patschert (sprich: unbeholfen) und zu spät«*. Denn Österreich wollte durchaus mitmischen: Vier Jahre lang besetzte Österreich im 18. Jahrhundert unter Kaiserin Maria Theresia eine Bucht mit Hafen im heutigen Mosambik. Danach versuchte es das Kaiserreich in Indien, auch da war nach einigen Jahren Schluss. In adeligen Haushalten gab es bis Ende des 18. Jahrhunderts Schwarze Sklaven. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unternahm Österreich-Ungarn weitere Versuche, es beteiligte sich zudem an Infrastrukturprojekten, wie etwa dem Suezkanal. Ziel war die Destabilisierung der betroffenen Länder, um sich handelspolitische Vorteile zu sichern.
Wir sind bei der vorletzten Station des Stadtrundgangs angelangt, auf dem Münsterhof. Ich erfahre von einer Frau, die mit ihrem Mann nach Sumatra ging: Er war dort Inhaber einer Plantage und auf Brautschau in die Schweiz zurückgekommen. Sie langweilte sich in ihrem neuen Zuhause, fühlte sich einsam, hatte ab und zu Kontakt zu europäischen Frauen, schrieb Briefe an ihre Eltern und bezeichnete darin ihre einheimischen Angestellten als Tiere.
Völkerschauen trugen dazu bei, Gewalt und Unterdrückung zu rechtfertigen: Die Europäer verstanden sich als überlegene Zivilisation, demnach sie das Recht hätten, die »rückständigen« Länder und deren Menschen auszubeuten. Die letzte Völkerschau in Zürich fand 1965 statt, im Rahmen eines bekannten Zirkus.
Der koloniale Blick hat wesentlich dazu beigetragen, wie nicht-weiße Menschen (People of Color) gesehen werden. Das wirkt auch heute noch nach. Anja Nunyola Glover beschreibt in ihrem Bestseller »Was ich dir nicht sage«** den alltäglichen Rassismus, den sie als Schwarze Frau in der Schweiz erfährt. Es ginge nicht nur um Menschen, die sich offensichtlich rassistisch äußern oder so handeln, sondern auch um diejenigen, die sich als »gut« empfinden. Es geht um uns Teilnehmende beim Stadtrundgang. Es geht um mich. Ich höre historische Fakten. Das ist bequem, weit weg.
Der ehemalige österreichische Außenminister verkündete vergangenes Jahr bei einem Besuch in Ghana, Österreich komme in Bezug auf Kolonialismus ohne historischen Rucksack hier an. – Tu felix Austria! Tu felix Helvetia!
*Isabel Frahndl und Anja Stegmaier: Österreichs Kolonialismus kommt nicht zum Geschichtetest, Wiener Zeitung 15.02.2025, https://www.wienerzeitung.at/a/oesterreichs-kolonialismus-kommt-nicht-zum-geschichtetest
**Anja Nunyola Glover: Was ich dir nicht sage, BoD 2024
Ich schreibe weiß kursiv und Schwarz groß, so wie es Schwarze Autor:innen und Aktivistinnen vorgemacht haben.