Älter werden

Eine Wienerin in Zürich

Neulich beim Treffpunkt für einen Stadtrundgang in der Innenstadt von Zürich. Ich zahle mein Ticket vor Ort. Werde von der Guide gefragt: »AHV?« Ich schüttle heftig meinen ergrauten Kopf, mir entfährt ein erschüttertes »Nein«.

Die AHV (Alters- und Hinterlassenenversicherung) ist die staatliche Rentenvorsorge in der Schweiz. Sie soll laut Gesetz den Existenzbedarf im Alter decken. Das tut sie nicht. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ich werde zum ersten Mal gefragt, ob ich Rentnerin bin (oder Pensionistin, wie es in Österreich heißt). Das macht mich um zehn Jahre älter.

Es gibt für alles ein erstes Mal. Im Urlaub vergangenes Jahr in Nantes wurde mir ein Sitzplatz in der Straßenbahn angeboten. Ein junger Mann sprang auf, als er mich sah. Ich war so verdattert, dass ich ablehnte, und er nahm – sichtlich beleidigt – wieder Platz. Woraufhin ich ein schlechtes Gewissen hatte: Er wollte doch nur höflich sein!

Damals habe ich mir eingeredet: Du bewegst dich halt momentan nicht so frei wegen deiner Rückenschmerzen. Doch jetzt geht es dem Rücken wieder gut, und nun also die AHV.

Älter werden. Es macht etwas mit mir. In Wien hätte ich bereits mit 50 dem Pensionistenclub beitreten können, in dem meine Eltern Mitglieder waren, allerdings erst in ihrem Ruhestand. Jetzt zähle ich zu den ominösen 55 plus und könnte mich in Zürich um einen Platz in einer Alterswohngemeinschaft 55+ bewerben. Viele Freundinnen und Freunde sind bereits in Rente oder nicht mehr weit davon entfernt.

Eine Schauspielerin sagte neulich, dass sie dieses Gerede um das würdevolle Altern ärgere. Altern sei eine Zumutung, es schmerze: körperlich und emotional. Ich frage mich: Werden die Schmerzen nicht noch stärker, wenn ich von vornherein davon ausgehe, dass Altern etwas Schlimmes sei?

Es hängt viel mit der gesellschaftlichen Sichtweise zusammen, die Frauen ab 50 den Part der »alten Schachtel« zuschiebt. Allein die Bezeichnungen, die es gibt: »altes Weib«, »alte Fuchtel«, »Vettel«, »Matrone«, »Schabracke«, »alter Besen«. Zugegeben, diese Ausdrücke hört man nicht oft, manche Menschen kennen sie wohl gar nicht mehr. Und doch schwingt vieles davon noch mit. Mir fällt auf Anhieb kein positiver Kollektivbegriff für »nicht mehr junge Frauen« ein. Weise Alte? Vielleicht in Fantasy-Romanen, die eben als das abgetan werden: reine Fantasie.

Bestenfalls fallen Frauen ab den Fünfzigern in die Kategorie der fitten, konsumorientierten älteren Damen, die als kaufkräftige Werbezielgruppe entdeckt wurden: häufig auf Reisen, beim Friseur – in Zürich Coiffeur– oder im Beauty-Studio. Sie dürfen eine rüstige Oma sein und ihren Kindern und Enkeln Geld zustecken. Sind ihr Aussehen oder Verhalten nicht mehr so gut verwertbar, gleitet die Meinung schön langsam ab: Achtung, Gefahr im Verzug, bald pflegebedürftig!

Auch in Büchern haben es ältere Frauen nicht immer leicht. Sie wuseln als schrullige Alte herum (gerne Hobbydetektivin), sind vom Typ böse Schwiegermutter oder gar nicht erst präsent, weil uninteressant und der Zielgruppe nicht zumutbar.

Warum hat mich die Frage nach der AHV irritiert? Warum habe ich kurz gedacht: »Sollte ich mir nicht vielleicht doch wieder die Haare färben?« Ich möchte mich nicht in illusionäre Jugendlichkeit flüchten. Es geht um eine bewusste Auseinandersetzung mit dem Älter werden. Es ist ein Akt der Ermächtigung: Denn die Jahre nach 50 beinhalten noch mehrere Lebensphasen. Die gilt es zu entdecken und zu gestalten, ohne die abwertenden Stereotype über Frauen.